Dass es zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gelegentlich zu Kränkungen kommt, ist nicht ungewöhnlich. Die Frage ist, ob die kränkenden Worte absichtlich oder unabsichtlich geäußert wurden. Allerdings schmerzen auch nicht beabsichtigte Kränkungen die Betroffenen. Sie fühlen sich in ihrem Gerechtigkeitssinn, ihrem Vertrauen und ihrer Zuneigung erschüttert.
Wie begegnet man Kränkungen von erwachsenen Kindern?
Als Kränkung empfundene Äußerungen oder Handlungen berühren die eigenen Werte. Sie stellen verbale Zurückweisungen dar. Menschen, sie sich gekränkt fühlen, sehen in einer entsprechenden Handlung oder Anmerkung eine Verletzung ihrer Gefühle und eine Herabsetzung ihrer Person. Eine als Kränkung empfundene Handlung oder Bemerkung löst oft eine starke emotionelle Reaktion aus. Sie berührt den Kern dessen, was man ist.
Wenn erwachsene Kinder ihre Eltern kränken, handelt es sich um Respektlosigkeit gegenüber dem Alter und der Lebensleistung der Eltern. Ob die Kränkung dem Gegenüber bewusst ist oder ob sie sogar absichtsvoll lanciert wurde, sollte festgestellt werden. Die Eltern sollten über ihre Gefühle zu diesem Vorfall reden. Er hat vermutlich ihr Vertrauen erschüttert. Ohne eine Erklärung und eine Entschuldigung der Gegenseite bleibt das Verhältnis zwischen beiden Parteien belastet.
Was ist eigentlich eine Kränkung?
Unbeabsichtigte Kränkungen können durch unbedacht dahingesagte Worte geschehen. Der kränkende Inhalt der Bemerkung wird von den Kindern manchmal gar nicht erkannt. In anderen Fällen wird die kränkende Bemerkung absichtsvoll fallen gelassen. Sind bewusste Kränkungen einmal ausgesprochen, können sie nicht mehr zurückgenommen werden. Sie offenbaren eine schroffe Zurückweisung oder beinhalten ein Gefühl der Entwertung.
Viele Eltern fühlen sich von ihren erwachsenen Kindern nicht ausreichend gewürdigt. Sie empfinden sich oft als verbal herabgesetzt, fühlen sich von ihrem Nachwuchs übergangen oder gar bloßgestellt. Die Geringschätzung dessen, was sie geleistet haben, ist kränkend. Eltern zu beschämen, weil sie sozial einen niedrigen Stand oder in ihren Ansichten „spießig“ sind, drückt Überlegenheitsgefühle und mangelnde Toleranz aus. Entsprechende Bemerkungen sind demütigend und entwertend.
Zu den kränkenden Dingen, die erwachsene Kinder gegenüber ihren Eltern tun können, gehören Rücksichtslosigkeit, ein Mangel an Takt und schroffe Zurückweisung. Die Verletzung geschieht bei einer demütigenden Handlung oder Anmerkung mit voller Absicht, während eine Kränkung durchaus unabsichtlich geschehen kann. Man demütigt und erniedrigt jemanden im vollen Wissen, dass man es tut. Man kennt seine Achillesferse und nutzt dieses Wissen. Es geht dabei um ein Gefühl der Überlegenheit und Macht.
Der Abbruch der Beziehung vonseiten erwachsener Kinder ist eine besonders gravierende Kränkung der Eltern. Doch in vielen Fällen erfolgen Beziehungsabbrüche erst, nachdem sich erwachsene Kinder über Jahre selbst gedemütigt, missachtet und erniedrigt gefühlt haben. Die schlimmste Form der Kränkung sind verbale oder körperliche Gewalt von erwachsenen Kindern gegen die Eltern.
Was sind die möglichen Folgen?
Wenn erwachsene Kinder ihre Eltern kränken – ob absichtsvoll oder unabsichtlich – ist die Beziehung nachhaltig belastet. Die gekränkten Eltern ziehen sich oft zurück. Sie fühlen sich einerseits beschämt, andererseits in ihrem Selbstwert geschmälert. In der Folge sind sie ihren Kindern gegenüber vorsichtiger. Sie verhalten sich weniger offen und herzlich. Der Schmerz über die Kränkung sitzt tief. Er nagt an den Eltern.
Manchmal greift das betroffene Elternteil nun seinerseits zur Kränkung. Es möchte sich weniger wertlos fühlen. Rachegefühle sind jedoch keine kluge Reaktion. Sie verschärfen den Konflikt lediglich. Oftmals fühlen Eltern sich von kränkenden Handlungen oder Bemerkungen ihrer erwachsenen Kinder tief getroffen. Sie wissen sich nicht zu wehren. Ihre Gefühle schwanken zwischen Ärger und Resignation. Möglich ist, dass die Situation bei den gekränkten Eltern Depressionen auslöst.
Manchmal empfinden gekränkte Eltern sich als Opfer ungerechtfertigter Attacken. Sie suchen sich womöglich Verbündete im Familien-Universum. Daraus können emotionell aufgeladene Familiensituationen entstehen. Diese führen durch Parteinahmen mittelfristig zur Spaltung der Familie. Die Geschwister eines erwachsenen Kindes, das einen Elternteil gekränkt hat, werden gerne instrumentalisiert. Damit werden bereits früh angelegte Familienstrukturen weiter verfestigt.
Wie können Eltern mit Kränkungen der eigenen Kinder umgehen?
Positiv ist an dieser Situation, dass sich erwachsene Menschen gegenüber stehen. Gespräche auf Augenhöhe wären also potenziell möglich. Zunächst sollten die Eltern ihren Zorn loslassen. In zweiter Instanz gilt es festzustellen, ob die Kränkung beabsichtigt war oder nicht. Möglicherweise war dem Gegenüber nicht bewusst, wie kränkend der Inhalt des Gesagten war. Im Übrigen können auch Handlungen oder unterlassene Handlungen Kränkungen darstellen.
Es kommt nun darauf an, wie der betroffene Elternteil mit der Kränkung umgeht. Es ist durchaus möglich, dass jemand im Wirbel seiner verletzten Gefühlen übersieht, dass eine Bemerkung zwar kränkend gewesen ist, aber dennoch einen wahren Kern enthält. Daher ist es wichtig, die eigenen Gefühle zum Gesagten zu analysieren. Warum fühlte man sich gekränkt? Konnte dem anderen bewusst sein, dass das Gesagte herabsetzend, unwahr oder respektlos war?
Sich in dieser Situation zurückzuziehen, zum Gegenangriff überzugehen oder in einem Zustand der Enttäuschung und Verbitterung zu verharren, löst das Problem nicht. Wichtig ist, das Gespräch zu suchen und ruhig zu erklären, warum man die Handlung oder das Gesagte als Kränkung empfunden hat. Aus einer Kränkung kann neue Stärke erwachsen. Sie kann zu einem besseren Verständnis des Gegenübers oder zur Auseinandersetzung mit unguten Erziehungsmethoden der Vergangenheit führen. Auf beiden Seiten ist Selbsterkenntnis möglich.
Mitgefühl statt Zorn?
Möglicherweise verdienen Ihr Sohn oder Ihre Tochter eher Mitgefühl als Zorn. Vielleicht beruhte die Kränkung auf einer nicht eingestandenen Beziehungskrise des Sohnes, die irgendwann zur Scheidung führen könnte. Möglicherweise stehen seit Jahren unausgesprochene Konflikte zwischen Eltern und Kindern im Raum. Man weiß oft nicht wirklich, was in anderen Menschen vorgeht, wenn sie es nicht kommunizieren. Nicht einmal seine erwachsenen Kinder kann man immer richtig einschätzen. Nur sich selbst.
Wichtig ist jedoch die Erkenntnis, dass eine Kränkung möglicherweise mehr über den Zustand Ihres Gegenübers ausgesagt hat als über den Ihren. Nicht Sie sind dadurch diskreditiert, auch wenn Sie sich so fühlen. Oft hilft diese Erkenntnis dabei, die Kränkung zu überwinden. Das bedeutet nicht, dass Sie alles vergeben und vergessen und dann die andere Wange hinhalten. Es bedeutet, dass Sie wissen, wer Sie sind und sich selbst einen Wert zuschreiben, der unantastbar ist.
Strahlen Sie diese Unantastbarkeit nach außen aus – zum Beispiel durch Ihre aufrechte Körperhaltung. Tun Sie sich gut. Üben Sie sich in Selbstfürsorge. Sprechen Sie mit anderen über Ihre Gefühle, ohne nach Verbündeten zu suchen. Suchen Sie das klärende Gespräch, wenn Sie Ihre Gefühlswelt geordnet haben.